Notes from Wergo 60042: Helmut Rösner Cristobal Halffter Im Jahre 1960 gründete Cristobal Halffter gemeinsam mit einigen anderen jungen spanischen Komponisten die Gruppe "Musica abierta" (offene Musik) in Madrid. Dabei nannte er als Ziel seiner Arbeit, die "serielle Musik zu latinisieren". So wenig, wie Pierre Bouiez' Kompositionen ohne den Einfluß Debussys denkbai- sind, so wenig kann man den Spanier Cristobal Halffter von dem Hintergrund der traditionsreichen spanischen Musik ablösen. Spanische Musik - das bedeutet nicht nur die jahrhundertelange historische Entwicklung der Kunstmusik, die um das Jahr 1950, dem Geburtsjahr Halffters, einen letzten Höhepunkt mit Manuel de Falla erreichte, sondern auch die spanische Folklore. Die Tonsprache der spanischen Volksmusik war dank zahlreichen orientalischen Einflüssen seit jeher reicher, vielgestaltiger, offener als jede andere europäische Nationalmusik. Manuel de Falla schreibt über den "Cante jondo", einen alten andalusischen Tanzgesang: (Manuel de Falla: Spanien und die neue Musik. Zürich 1968, S. 71 f.) "Die Tonarten oder melodischen Folgen bestehen aus Tönen und Halbtönen, deren Reihenfolge testgelegt ist. Die primitiven indischen und die von ihnen abgeleiteten Systeme hingegen betrachten den Platz, den die kleineren Intervalle ... in der melodischen Folge einnehmen, keineswegs als unveränderlich. Eher glauben sie, daß diese kleineren, die Gleichheit der Tonleiter zerstörenden Intervalle dem Steigen und Fallen der Stimme entsprechen sollten, das durch den Ausdruck des gesungenen Wortes bedingt ist. . , . Dazu kommt . . . die häufige Anwendung des portamento vocal, wobei die Stimme von einer Note in die andere gleitet und dabei die ganze Skala feinster Graduierungen durchläuft, die es zwischen zwei verbundenen oder getrennten Noten gibt . . . Zusammenfassend also stellen wir fest, daß im Cante jondo wie auch in den primitiven Liedern des Orients die musikalische Skala eine direkte Folge dessen ist, was man die mündliche Skala nennen könnte." Rudimente dieser Tonsprache verwendet auch Cristobal Halffter; sie sind vor allem in dem Sprechgesang des Baritonsolos im "Symposion" zu beobachten, der - den Hebungen und Senkungen des Wort- und Versrhythmus folgend - die Stimme zwischen verschiedenen Tonlagen gleiten läßt, ohne die berührten Tonhöhen exakt zu nennen, oder der das "Gefühl für metrischen Rhythmus" (wie de Falla es nennt) nicht mehr berücksichtigt, sondern konsequent dem wortimmanenten Rhythmus nachlauscht, wobei ihm die Struktur der antiken griechischen Verse sehr entgegenkommt. Die Tradition, insbesondere die überkommene spanische Kultur, spielt für Cristobal Halffter eine große Rolle; er selbst fühlt sich - wie er in einem "Selbstporträt" mitteilt - ihr eng zugehörig: ". . . Seit langer Zeit gehört die Musikpflege zur Familientradition, und in allen Generationen gab es Mitglieder, die sich der Musik besonders intensiv widmeten. Rodolfo und Ernesto Halffter - Brüder meines Vaters - gaben meiner Kindheit ein besonderes Gepräge, denn sie beide hatten regen Anteil nicht nur am spanischen Musikleben jener Zeit, sondern auch an dem kulturellen und intellektuellen Aufschwung des Landes in den Jahren von 1925 bis zum Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges. In meinem Elternhaus verkehrten damals Männer, an die ich mich heute nicht mehr genau erinnere und deren Bedeutung ich zu jener Zeit auch gar nicht ermessen, konnte, die jedoch einen hervorragenden Platz in der Kulturgeschichte einnehmen, und die einen tiefen Eindruck auf mich machen sollten: das geschah nicht so sehr durch ihren direkten Einfluß, den ich wegen meines geringen Alters gar nicht wahrzunehmen imstande war, sondern durch die Ideale, welche sie zu erreichen suchten. Manuel de Falla, Federico Garcia Lorca, Rafael Alberti, Salvador Dali haben meiner frühen Jugendzeit einen intellektuellen Auftrieb verliehen, den meine Poltern förderten, und der mir schließlich die Musik zu meiner speziellen Berufung werden ließ. . . . Ich hatte von Anfang an einen Lehrer, der mir eine solide, traditionsgebundene Ausbildung zuteil werden ließ. Conrado del Campo ist der Lehrer mehrerer spanischer Komponisten gewesen, und ich bin stolz darauf, zu seinen Schülern zu zählen. Aus dieser Studienzeit stammen meine ersten Werke, . . . Sie waren stark beeinflußt von den Spätwerken de Fallas, vom Strawinsky des "Sacre du Printemps" und vom Bartok der dreißiger Jahre." Für seine weitere Entwicklung nennt Halffter natürlich die Bekanntschaft mit den Werken von Schönberg, Webern, Berg, Varese und Messiaen besonders einflußreich. Wie er selbst schreibt, war Spanien zu der Zeit seines Studiums aus politischen Gründen von der Außenweltweitgehend isoliert, mindestens was die musikalische Avantgarde betraf. Erst gezielte Versuche, Noten, Bücher und Schallplatten oder Tonbänder der begehrten Werke zu beschaffen, eröffneten ihm die Horizonte der Neuen Musik. Mit intellektuellem Heißhunger eignete er sich die neuesten Errungenschaften der Musik an: "Binnen weniger Jahre machte unsere ästhetische Entwicklung Fortschritte in einem Maß, das anderswo mehrere Generationen erfordert hätte.'' Dies also ist der künstlerische Ausgangspunkt Cristobal Halffters: spanische Tradition und Mentalität, über kritische Intelligenz verbunden mit einer zeitrafferartig zusammengedrängten künstlerischen Entwicklung, die orientiert war an der teilweise vorgeformten Tonsprache der musikalischen Avantgarde Mitteleuropas. Secuencias wurde im Sommer 1964 komponiert und im Jahr darauf beim Weltmusikfest der Internationalen Gesellschaft für neue Musik in Madrid uraufgeführt. Es ist ein reines Orchesterwerk, dessen Besetzung neben Bläsern und Streichern einen außergewöhnlich umfangreichen und virtuos eingesetzten Schlagzeugapparat vorsieht; diese Schlaginstrumente sind in fünf Gruppen eingeteilt und werden von Harfe, Klavier und Celesta ergänzt. Das Werk beruht in seiner Formstruktur auf der Wechselfolge von Instrumenten - oder genauer: Klangfarbenkombinationen. Die Klangwerte werden dabei nicht nur aus den natürlichen Klangfarben der einzelnen Instrumentalkomplexe (Holz- und Blechbläser, Streicher, Schlagzeug) gewonnen, sondern auch aus mannigfaltigen Spiel weisen. Wechselklängen und Tonmodifikationen innerhalb der gleichen Gruppen. Hinzu kommt die Erweiterung des herkömmlichen Tonsystems durch die Verwendung kleinerer Intervalle als des Halbtonabstandes (Viertel- und Dreivierteltöne). Die Notation kennt sowohl exakte Rhythmus- und Tonhöhenangaben als auch freie Rahmenanweisungen, wobei allerdings die dynamischen Grade jeweils sehr differenziert vorgeschrieben sind. So ist der Beginn des Werkes relativ vage gehalten: ein lockeres Klangbild aus einzelnen Schlaginstrumenten wie Bongos, Tom-Tom, Bambusstäbe, Tamburin, die hier nicht so sehr als Rhythmus-, sondern als Klangträger gedacht sind. Dieses schwebende Kl anggewebe wird durchbrochen durch einen flächig einsetzenden, dann aber rasch verdünnten und diminuierenden Streicherklang ohne bestimmte Tonhöhen; die Wiederholung der Streicherfläche schreibt bei rhythmischer Freiheit in jeweils einem Instrumentenpaar gleichzeitig genaue und unbestimmte Tonhöhen vor. Letztere verdichten sich sogleich wieder parallel mit einer klanglichen und dynamischen Ballung im gesamten Schlagzeugapparat. Nur einzelne liegende Klänge leiten über in eine Passage der Melodieträger unter den Schlaginstrumenten: Xylophon, Vibraphon, Glocken, Klavier, Harfe und Celesta, die nun ein vielstimmiges, rhythmisch und klanglich sehr dicht und präzise notiertes Klangbild erzeugen. Das vorgeschriebene Metrum des ganzen Werkes ist die objektive Zeit, nach Minuten und Sekunden gemessen; die Metren der einzelnen Takte sowie die Dauer der improvisatorisch zu rhythmisierenden Passagen sind diesem nicht beeinflußbaren Zeitablauf untergeordnet. Genau 1*/4 Minuten dauert diese erste Klangstruktur, dann treten weitere Schlaginstrumente hinzu, gleichzeitig entwirrt sich aber die rhythmische Anlage, die Klangräume zwischen den einzelnen Instrumenten werden weiter. Erst der stufenweise Einsatz der Holzbläser erbringt eine neue Verdichtung. Wieder bildet eine beinahe solistische Klavierepisode die Überleitung zu einem neuen Abschnitt: die Holzbläser reißen den Vorgang an sich, ihre klangliche und rhythmische Struktur wird komplexer, sogar flächig, vor allem dann, wenn auch die Blechbläser mit synkopierten Akkord bewegungen hinzutreten. Die gleichzeitige dynamische Steigerung mündet in einem hohen Unisono-Triller in fff, nach dem erstmals wieder die Streicher in Aktion treten: mit synkopierten Pizzicati und mit gestrichenen Akkorden, später mit raschen, insgesamt flächig wirkenden Akkordzerlegungen schalten sie sich ein in das Wechselspiel zwischen geballten Akkorden und schnellen Skalenfiguren in den Holzund Blechbläsern. Über enggesetzten Sechzehntelfloskeln der Holzbläser und abgerissenen Streicherakkorden fügen sich nun einige Schlaginstrumente wieder in das Klangbild ein. Ein wuchtiger, rasch ins Piano zurückgenommener und wieder anschwellender Blechbläserakkord leitet über in den folgenden Abschnitt, der nun zum ersten Mal das gesamte Orchester vereinigt. Ohne feste rhythmische Gestalt haben sämtliche Holzbläser und Streicher (pizzicato) eine 50 Sekunden lange Phrase zu spielen, die vom fff zum ppp absinkt und dann in ein feines, engmaschiges Stimmengespinst übergeht, in dem die Holzbläser liegende und ineinanderfließende Töne halten, die Blechbläser gelegentlich einen akzentuierten Akkord einwerfen, und die Streicher ein äußerst differenziertes Klangbild erzeugen mit vielfältigen Spielmethoden: sordiniert, arco und pizzicato, Tremoli, sul ponticello, Glissandi etc. Das polyphone und quasi melodische Hauptgewicht liegt in dieser Passage bei den Schlaginstrumenen im weiteren Sinn: auch hier sind wieder die Melodieträger zusammen mit Klavier, Harfe und Celesta eingesetzt. Eine abschließende Holzbläserpassage wird von einem Streicherflageolett gestützt. Dann folgt (nach bisher neun Minuten Dauer) ein neuer, breit ausgebauter Abschnitt, beginnend mit einer weiträumigen Klangfläche der vielfach geteilten Streicher, die stufenweise in Pianissimo aufgebaut und nach einer großen dynamischen Steigerung ebenso wieder reduziert wird. Diese Fläche ist ein kompliziertes Klangereignis von über zwei Minuten Dauer: sie wird gebildet aus einem engen Cluster um nur wenige Töne, die Abstände zwischen den einzelnen Clustertönen sind auf Vierteltöne zusammengedrückt. Diese schwebende Klangfläche, der einzelne Klangtupfer der Bläser gewissermaßen kleine Lichtpunkte beimischen, löst sich allmählich auf und weicht einer Holzbläserpassage in extrem dichter rhythmischer Struktur. An frei zu wählenden Zeitpunkten treten die Blechbläser hinzu, während gleichzeitig der neutrale Klavierklang abermals eine zweite Klangfläche der Streicher einleitet, die wie beim ersten Mal stufenweise aufgebaut wird und wie dort einen um den Ton c gruppierten engen Cluster mit Vierteltonabständen bildet: Im folgenden Takt wird dieser Cluster mit einem allgemeinen Glissando in Gegenbewegung zu einem weitestmöglichen Klangraum auseinandergeschoben. Die so entstandene ausgedehnte F'läche läßt den ursprünglichen Cluster nachträglich als eindimensionale Projektion auf einen Punkt erscheinen. An dieser Stelle setzen hart die Blechbläser mit Akkordfolgen ein, die von den Holzbläsern fortgesetzt werden. Nach einem kurzen Einwurf der Schlaginstrumente mit fixierten Tonhöhen modifiziert sich die ununterbrochen stehende Klangfläche der Streicher: sie gewinnt an Bewegung durch rasches Tremolieren in knappen Tonabständen. Gleichzeitig mit polyphonen Holzbläserpassagen steigen die Tremoli allmählich von den Höhen abwärts und von den tiefen Lagen aufwärts zur Mittellage und steigern ihre Dynamik bis zum kurz angespielten fff. Die Streichertremoli gehen gleitend über in rotierende Zweiunddreißig'stel- und Triolenfiguren, die später in Halffters Chorwerk "Symposion" fast wortgetreu wieder aufgenommen werden: jeweils drei Stimmen jeder Instrumentengruppe verlaufen parallel im Halbtonabstand, so daß so etwas wie ein bewegter Cluster entsteht. Dieser "Rotationsciuster" ist fast eine Minute lang einer ausgedehnten, sehr dicht gesetzten Schlagzeugpassage unterlegt und wird gestützt von ähnlich gearteten Holzbläserskalen und dynamisch variablen Blechbläserakkorden. Mit dem harten fff-Abschluß setzt wieder der stufenweise Abbau der Clusterfläche in den Streicherstimmen ein, und zwar - in umgekehrter Reihenfolge wie zuvor - mit einem zwei Minuten langen Glissando von den Außentönen zur Mitte hin, wo der Klangkomplex sich in einem engen Cluster festigt und in kontinuierlichem Diminuendo verklingt. Wieder umschließt auch dieser Cluster mit Vierteltonabständen einen Tonraum von annähernd einem Tritonus. Lineas y Puntos wurde als Auftragswerk für den Südwestfunk komponiert und 1967 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Die Widmung an Heinrich Strobel weist darauf hin, daß Strobel maßgeblich als Anreger an der Entstehung des Werkes beteiligt war; und Cristobal Halffter selbst teilt mit, welcher Art diese Anregung war. Bereits 1966 hatte Halffter, der damals als Stipendiat an der Universität Utrecht tätig war, mit der elektronischen Musik engere Bekanntschaft geschlossen. Doch reizte ihn diese Art von Musik an sich nicht sonderlich, da seiner Ansicht nach dabei das vermittelnde Moment des ausübenden Musikers fehle, der dem Hörer durch die Rekonstruktion, durch das gleichsam Nachvollziehen des Kompositionsvorgangs die Teilnahme und Aufnahme erleichtert. Die klanglichen und konstruktiven Möglichkeiten, die in der elektronischen Musik gegeben sind, faszinierten allerdings auch ihn. Der Kompromiß zwischen diesen beiden Standpunkten: wie elektronische Klanghchkeit über Interpreten an die Hörer vermittelt werden kann, dieser Kompromiß lag für Halffter in der Synthese von elektronischer und instrumentaler Musik, deren Bindeglied nunmehr der Dirigent darstellt. Das komponierte Werk des Autors ist als Fixum gegeben durch den Notentext und - bei der elektronischen Musik - durch das Magnetophonband. Der Dirigent ist hier im Vergleich zur herkömmlichen, nur instrumentalen Musik zwar entmachtet, hat jedoch eine weit diffizilere Autgabe übernommen, nämlich mittels einer exakten Uhr die Musiker des Orchesters mit dem unverrückbaren Ablauf des Tonbandes zu koordinieren. Die Musiker selbst nun sind einerseits gebunden an den ihnen vorliegenden Notentext, haben aber andererseits eine Freiheit hinzugewonnen, die ihnen die traditionelle, fest determinierte Musik nicht gewährte: der Text zeigt absichtliche "Lücken" in seinen Anweisungen: Stellen, die nur Rahmenvorschriften geben und vom Musiker individuell ausgeführt werden können und sollen. Solche Rahmenvorschriften können den genauen Zeitpunkt des Einsatzes, das Tempo, den Rhythmus, die Tonhöhe, die Häutigkeit von Wiederholungen einer Phrase offenlassen. Das somit einkomponierte improvisatorische Element wird vom Dirigenten, der den Zeitablauf beobachtet, in den vorgeschriebenen Grenzen gehalten. Das Orchester, das Halffter für "Lineas y Puntos" verwendet, besteht ausschließlich aus Bläsern: 5 Flöten, 2 Oboen und Englischhorn, 2 Klarinetten und Baßklarinette, 4 Hörner, 5 Trompeten, 5 Posaunen und Tuba. Die Übertragung der elektronischen Klänge vollzieht sich über zwei Lautsprechergruppen im Raum, deren jede eine Bandspur wiedergibt. In der Partitur sind diese Klänge nur schematisch dargestellt, sie deuten nur die ungefähre Klangstruktur an. Die Zeiteinheit des Werkes ist natürlich die Sekunde; Takt und Metrum sind nur gelegentlich vorgeschrieben. Der Titel des Werkes, "Linien und Punkte", läßt erkennen, daß es sich hier um Klangvariationen handelt: Konstellationen von Klanglinien und Klangpunkten, Überlagerungen verschiedener linearer Strukturen, Verdichtungen von punktuellen Klängen zu Komplexen verschiedenster Art, Akkordballungen, statische und bewegte Flächenkonstruktionen, Veränderungen des Klangraumes. Die Klangfarbenschichtung basiert auf den drei, in sich unterteilten Instrumentalgruppen (siehe Abb. 2). Linien und Punkte sind lediglich die Bauelemente, aus denen die zusammengesetzten Gebilde wie Akkorde, Flächen und Klangkomplexe verschiedener Art entstehen. So beginnt das Werk mit einem kurzen und harten Schlag in fff sämtlicher Instrumente in weiter Lage (der ausgefüllte Klangraum umfaßt annähernd vier Oktaven). Der gleiche Akkord im nächsten Takt, nach 5 Sekunden wiederholt: die Blechbläser spielen in anderer Tonkonstellation und auf zweieinhalb Oktaven zusammengedrängt den gleichen Akkord auf die gleiche Weise, während die Holzbläser nun die Töne des Blechbläserkomplexes notengetreu und in gleicher Lage durchklingen lassen und innerhalb dieser Klangfläche die Dynamik von Piano zum fff steigern; der schnelle, gestoßene Abschluß dieser Fläche wird durch die Überlagerung verschiedener Rhythmen in den Blechbläsern verstärkt: es ist dies eine jeweils aus zwei oder drei Tönen bestehende Sechzehntelgruppe, die staccato und so schnell wie möglich wiederholt wird. Nach einigen, mindestens vier Sekunden entsteht daraus eine Klangfläche, die dreieinhalb Oktaven umfaßt und von den Blechbläsern in zufälliger Einsatzfolge aufgebaut wird (innerhalb eines bestimmten Zeitraumes können die Musiker den genauen Zeitpunkt ihres akzentuierten Einsatzes selbst wählen). Im Verlauf des Crescendos tritt mit einem VsTakt eine rasche Skalenbewegung der Holzbläser ein, in der sich diverse rhythmische Gebilde überlagern: Gruppen von Triolen, Quintolen, Sextolen und Septolen. Auch diese Phrase kann als Fläche gelten, wenngleich sie nicht aus Klangpunkten oder ausgehaltenen Einzeltönen, sondern aus bewegten Linien entstanden ist. Somit findet hier eine Überlagerung zweier Flächengebilde statt, die bei 20 Sekunden ihren Abschluß findet in dem harten Schlußakkord. der Blechbläser; die Holzbläser dagegen halten ihre Töne einen Takt lang aus, wobei die höchsten Töne dicht zusammengedrängt erklingen und nahezu einen Cluster bilden. Diese Klang-Hache der Holzbläser geht unmittelbar über in eine dicht gesetzte Punktstruktur des Blechbläserkomplexes: in zwei s/sTakten erfolgt eine rhythmische vielschichtige Überlagerung von Staccato-Tonfolgen, die vom Fortissimo absinkt zum Piano und auf dem letzten Sechzehntel des zweiten Taktes einen fff-Akzent gemeinsam mit den Holzbläsern setzt. Bis zu dieser Stelle waren die Vorgänge im Orchester von einem gleichmäßig breiten Klangband beider Magnetophonspuren unterlegt. Jm zweiten s!sTakt setzte hier ein Diminuendo ein (gleichzeitig mit dem Abschwellen der Orchesterdynamik), und nach dem fff-Akkord, der von den Holzbläsern allein weiter ausgehalten wird, aber vom plötzlichen Piano aus noch weiter absinkt, verebbt die elektronische Musik ganz. Die Holzbläser bieten nun einen komplexen Vorgang, der sowohl Linien- als auch Flächencharakter aufweist. In sehr enger Mittel läge, eigentlich als dreitöniger Cluster (d-es-e), wechseln die Klangfarben der drei Holzbläsergruppen sich ab, indem sie ineinander fließen und auseinander hervortreten. Nach 20 Sekunden dieses Fließens setzt die elektronische Musik mit einer punktuellen Klangstruktur auf beiden Spuren wieder ein, und gleichzeitig verdichtet sich die Klangfülle der Instrumente, wenn auch die Blechbläser nach und nach hinzutreten und somit den Klangraum von der Urzelle d-es-e schrittweise nach oben und unten ausweiten. In der Folge verdichtet sich nicht nur die Klangfülle, sondern auch die Bewegung: die Einsätze der einzelnen Instrumente folgen einander in immer kürzeren Abständen, die Tondauern werden verkürzt, die Rhythmen werden engmaschiger, Sechzehntelgruppen fügen sich ein, die Dynamik steigert sich, zwar diskontinuierlich im Detail, im gesamten Klangbild aber doch. fortschreitend. Zugleich wird die punktuelle Struktur der elektronischen Klänge mehr und mehr von Linienelementen durchsetzt und geht schließlich ganz in eine Linienstruktur über. Dieser Punkt ist bei l Minuten und 54 Sekunden erreicht, hier ist das gesamte Klangbild des Werkes bisher am dichtesten: Flöten und Klarinetten spielen Tonfolgen, die im beliebigem Rhythmus und beliebigem Tempo beliebig oft wiederholt werden; Oboen und Hörner sind in Rhythmus und Tempo streng festgelegt, können aber ihre sehr dicht und präzise notierte mehrlaktige Phrase ebenfalls beliebig oft, d. h. bis zum Zeichen des Dirigenten wiederholen; allein die Trompeten und Posaunen setzen die ineinander fließende; aber rhythmisch verdichtete Klangfolge vom Anfang fort und gehen nur im letzten Abschnitt über zu freieren Komplexen, für die als Punktwie als Linienstruktur der Zeitpunkt des Einsatzes und das Tempo unbestimmt sind. In diesem letzten Abschnitt hat sich auch das Klangbild des Magnetophons von der Linienüberlagerung zum breiten Bandkomplex verdichtet. Bei 2 Minuten und 25 Sekunden findet der erste große Abschnitt des Werkes sein Ende. Nachdem diese Steigerung ihren Höhepunkt erreicht und den ersten Abschnitt abgeschlossen hat, setzt eine ruhige Passage der Blechbläser ein: ein melodischer Bogen in einheitlichem Rhythmus und parallel in engen Tonabständen geführt, durchschreitet weite Intervallräume, dabei wechselt die Dynamik fortwährend und steigert sich gegen Schluß der Phrase bis zum tff. Hier setzen sowohl die Holzbläser mit einer ruhenden PianissimoFläche ein als auch das Magnetophon mit flächigen Klangelementen, die zwischen den beiden Bandspuren alternieren, also abwechselnd von den beiden Lautsprechergruppen wiedergegeben werden. Die Flächen der Holzbläser werden von den Hörnern übernommen, an die Oboen zurückgegeben, wieder von den Hörnern, diesmal in Verbindung mit den Posaunen aufgefangen. während sich gleichzeitig Terzen-, Quarten- und Sextentremoli der Flöten und Klarinetten darüberdecken. Die Klangfarbe erfährt dabei bemerkenswerte Modifikationen durch tonloses Anblasen und Bewegen der Klappen an den Blasinstrumenten. Gestützt von einem kontinuierlichen Klangband in der rechten Lautsprechergruppe entsteht nun - nach 5 Minuten und 27 Sekunden - eine neuerliche Klangvariation aus einer dreitönigen Urzelle, die allerdings diesmal etwas weiter gesetzt ist als beim ersten Mal. Die drei Töne Des-f-as werden in ihrer Klangfarbe verändert, indem sie zwischen den drei Hotzbläsergruppen hin und her fließen. In dem Augenblick, da sie von den Blechbläsern gleichzeitig als Akkord und zerlegt, also in einem zeitlichen Nacheinander der einzelnen Töne, aufgegriffen werden, schweigt das elektronische Klangband. Die Holzbläser halten die drei Zentraltöne des-f-as unisono, in äußerster Lautstärke, aus, die Blechbläser dagegen erweitern den bisher in diesem Akkord umgrenzten Tonraum einer Quint zum Cluster, der nun innerhalb des Oktavumfangs sämtliche elf Töne umfaßt. Nach dem harten, gestoßenen Schlußakkord klingt die Urzelle des-f-as in den Klarinetten weiter in fff, wird aber sofort wieder gebrochen von zwei Flöten und zwei Trompeten in Piano, deren Töne sich im Halbtonabstand unter das Des bzw. über das As lagern, so daß zunächst der Klangraum der Urzelle, also die Quint zwischen Des und As unberührt bleibt, aber von außen gewissermaßen eingekreist wird. Erst nach und nach treten auch die übrigen Töne hinzu, so daß auch der Klangraum der Urzelle selbst ausgefüllt wird, freilich nicht in einem wirklichen Cluster, sondern auseinandergezogen über einen Umfang von mehr als zwei Oktaven. Piudimentäre lineare Strukturen auf dem Magnetophon leiten eine rasche Verdichtung des gesamten Klanggefüges ein, in dem frei wählbare Rhythmen an beliebigen Einsatzpunkten präzise rhythmische Gebilde überlagern. Dieser Vorgang erreicht seinen Abschluß kurz nach dem Zeitpunkt 5 Minuten: über diffuse Klangerscheinungen der elektronischen Klänge schieben sich, jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten und mit verschiedenen Dauern Flächen und Liniengebilde, deren letztere die rhythmische Gestalt und die Häufigkeit ihrer Wiederholungen offenlassen. Nach einer halben Minute entwirrt sich diese Flächen- und Linienschichtung wieder und geht allmählich über in rein lineare Klangformen, sowohl auf dem Magnetophon als auch bei den Instrumenten. Nahezu jedes Instrument kann zu einem beliebigen Zeitpunkt einsetzen, die Tondauern werden dabei länger, die Pausen überdies häufiger, das Klangbild verdünnt sich zusehends; und wenn die punktuellen Strukturen in den elektronischen Klängen überhand nehmen, besteht nur noch eine Klangfläche in den Blechbläsergruppen, und zwar der gleiche Cluster im Tonraum einer Oktave wie vorhin. Der trockene Schlußakkord dieser Klangfläche, der zusammenfällt mit dem Ende dieser Phrase in der elektronischen Musik, leitet (zum Zeitpunkt 6 Minuten und 55 Sekunden) einen bis zum Schluß des Stückes reichenden Abschnitt ein, dessen Notation weitgehend nur Rahmenanweisungen gibt. Die Klarinetten beginnen mit jeweils einer so schnell wie möglich zu spielenden und mehrere Oktaven umfassenden Floskel in Pianissimo, die fortwährend wiederholt wird; hinzu treten in gleicher W^eise die Oboen, dann die Flöten, beide in Piano. Eine kurze dynamische Steigerung zum fff führt zu einer kurzen Unterbrechung, in der die Blechbläser, unterstützt von knappen punktuellen Einwürfen des Magnetophons eine akustisch verfremdete Klangfläche hervorbringen: die Musiker haben in beliebigem Rhythmus mit der flachen Hand auf die Mundstücke ihrer Instrumente zu klopfen. Nun setzen die drei Flöten ein mit einer sechsfältigen, rhythmisch genau notierten Phrase im ^s-Takt, die ständig wiederholt wird. Ihnen folgen die Oboen und darauf die Klarinetten. Unregelmäßig eingeworfene Klangkomplexe des Magnetophons auf wechselnden Spuren sowie der Blechbläser setzen punktuelle Akzente in diese aus der Vielfalt überlagerter Linien entstehende Fläche. Nach etwa einer Minute endet dieser Abschnitt; nun überdecken sich Klangflächen der einzelnen Blechbläsergruppen mit rhythmisch freien Linearstrukturen der Holzbläser und umgekehrt; dazu treten alternierend gegensätzliche Klanggebilde auf beiden Magnetophonbandspuren. Dieses Wechselspiel setzt sich über weite Strecken in immer neuen Erscheinungsformen fort, bis bei dem Punkt 9 Minuten 6 Sekunden die G-F'löte mit einer beinahe rhapsodischen langgezogenen Melodielinie solistisch hervortritt, lediglich unterstützt von einer einspurigen Klanglinie des Magnetophons. Der Rhythmus der Flötenmelodie wird frei improvisiert, aber die Dynamik ist genau vorgeschrieben für jeden einzelnen Ton. Mit dem Hinzutreten weiterer Klanglinien verdichtet sich das akustische Bild bis zu dem Schlußabschnitt, der als "Finale und Coda" bezeichnet werden könnte: der Klangkomplex des Magnetophons bleibt bis kurz vor dem Abschluß unverändert, indem es Interferenzen von Punkt-. Linien- und Flächenstrukturen aufweist; das Orchestertutti bietet dazu ein Wechselspiel zwischen fließenden Flächen, die abgelöst werden von den bekannten frei zu rhythmisierenden Wiederholungsphrasen und zu denen sich Triller, Tremoli und Tonrepetitionen addieren. Die letzte dynamische Steigerung des nun lückenlos ausgefüllten Klangraumes bis zum vierfachen Porte geschieht durch die unbestimmt häufige Wiederholung von Tonfolgen, deren mehr als dreißig Töne so schnell wie nur möglich zu spielen sind. Aus dem Höhepunkt, der bei äußerster Lautstärke breite Magnetophon-Klangkomplexe erreicht hat, löst sich die kurze "Coda", die über rasche Tremoli sämtlicher Instrumente im Verlauf einer halben Minute sich kontinuierlich in der Klangdichte und -breite reduziert, wobei gleichzeitig die Dynamik gleitend bis zu ppp absinkt. Ein einziger durchgehaltener Klang der Baßklarinette verklingt zum Schluß. Symposion Das jüngste der drei Werke Cristobal Halffters, "Symposion", wurde Anfang des Jahres 1968 fertiggestellt. Dem oratorischen W^erk für Bariton, Chor und großes Orchester liegt ein antiker griechischer Text zugrunde, der ein Trinkgelage, eben ein Symposion, schildert; es ist eingeteilt in mehrere, unmittelbar aufeinanderfolgende Abschnitte: Elegia de Simposiarca (Jenofanes) für Bariton und Chor mit Orchester Escolio I für Chor (gesprochen) mit Orchester P'.scoho II für Chor (gesungen und gesprochen) mit Orchester Escolio III (Anonyme) für Bariton mit G-Flöte, dazu Streicher und Celesla Escolio IV für Chor und Orchester Escolio V für Bariton und Chor mit vollem Orchester. Die Orchesterbesetzung umfaßt 5 Flötengruppen (Piccolo, 2 Flöten. G-Flöte), 2 Oboen und Englischhorn, 2 Klarinetten und Baßklarinette, Fagott und Kontrafagott, fa Hörner. 5 Trompeten, 2 Posaunen und Tuba, jeweils mehrfach geteilte, Violinen, Bratschen und Celli sowie Kontrabaß. Hinzu kommen fünf umfangreiche Schlagzeuggruppen. Der l. Teil "Elegia del Simposiarca" hebt an mit einem instrumentalen Vorspiel, zu dem später der Bariton und am Schluß der Chor treten. Die Solostimme ist dabei zu Beginn in einem rezitativischen Sprechgesang notiert, der zwar das Metrum nicht nennt, aber den Rhythmus genau festlegt; die Tonhöhe ist in einem dreizeiligen Systema angedeutet, eine durchgezogene Linie zeichnet den ungefähren Verlauf der Tonhöhe vor. Nach nur wenigen Takten mit gesungenen Tönen auf fixierten Tonhöhen und in exaktem Rhythmus fällt der Gesang wieder in die anfängliche Rezitation zurück, die in den Schlußversen vom Chor und den vier Chorsolis übernommen wird. Das Vorspiel selbst bietet einen heftigen, beinahe dramatischen Fortissimo-Einsatz in drei Instrumentengruppen: die Violinen spielen unisono das hohe a, das einen ganzen Takt lang mit Crescendo ausgehalten wird und dann in einer zupackenden Punktierungsfigur abspringt zum f: Gleichzeitig nehmen die Hörner diese Punktierung in rhythmischer Vergrößerung und in Gegenbewegung während des anschwellenden a der Violinen vorweg: Und während dieser überlagerten Vorgänge vollzieht sich in dem gesamten Hol z bläserkomplex eine dichte, rasche Skalenbewegung, in rotierender Anlage aufwärts geführt in den hohen Stimmen und abwärts in den Klarinetten und Fagotten; die Flöten allein enden im nächsten Takt mit derselben Punktierungsfigur wie die Violinen, während das abschließende f von mehreren Instrumenten verstärkt wird. Jede dieser drei rhythmischen und melodischen Figuren, Modelle geradezu, werden im weiteren Verlauf des Werkes von tragender Bedeutung sein; zumal die Violinen mit diesen ersten drei Tönen den Beginn der Zwölftonreihe exponieren, auf der das "Symposion" aufgebaut ist (siehe Abb. 5 unten). Die heftige Rotationsbewegung der Holzbläser im l. Takt wird nach einem kurzen Schlagzeugsolo piano wieder aufgegriffen: die Violinen spielen sequenzartig wiederholte und stufenweise aufsteigende Sechzehntel und Triolen, in den Violoncelli und Kontrabässen spiegeln sich diese Figuren in absteigenden Sechzehntelsequenzen; die ruhende Mitte bildet das Tremolo der Bratschen in schließlich zwo] ff acher Teilung, das gleichzeitig einen clusterartigen Akkordaufbau der Holzbläser stützt: ausgehend von dem zusammenklingenden Halbton c/des treten in regelmäßigen zeitlichen Abständen in Quintenkombinationen nach und nach die übrigen Reihentöne hinzu (siehe Abb. 4 unten), so daß - schematisch dargestellt - sich gewissermaßen ein perspektivisches Bild der Reihe ergibt, das aber im Effekt als Cluster erklingt. Dieser Clusteraufbau, der über der rotierenden Sechzehntel-Gegenbewegung der Streicher vor sich geht, ist verbunden mit einer starken dynamischen Steigerung. Der Einsatz des Baritonsolos wird mit einer ausgedehnten F^lächenkomposition vorbereitet. Über durchgehaltenen Holzbläserakkorden, zu denen die Blechbläser und mehrere Schlaginstrumente ein rhythmisch vielschichtiges Wechselspie] bieten, beginnt, der Stufenaufbau einer breiten Klangfläche in den Streichern, die von den tiefen Lagen zu den Höhen aufsteigt. Nur der Anfangston ist bestimmt, er wird bei wechselnden Stricharten in freiem Rhythmus unausgesetzt in Fortissimo wiederholt, die Holzbläser schließen sich dieser Ausführung mit freien Tonrepetitionen an, so daß der Eindruck einer zwar statischen, aber in sich bewegten Fläche entsteht. Eine Schlagzeugepisode leitet eine kurze Unterbrechung ein, nämlich einen Akkord der Blechbläser in piano; daraufhin wird die Fläche variiert fortgesetzt: während die Bläser jeweils abgeschlossene, mehr oder minder exakt notierte Phrasen zu spielen haben, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ständig wiederholt werden, setzt in den Streichern der stufenweise Abbau der Fläche ein, der schließlich in einem weit aufgefächerten PianoAkkordklang mündet; dieser Klang wird verfremdet überdies durch das Geräusch der tonlos angeblasenen Blech blasinstrumente. Über dieser schwebenden Klangfläche erhebt sich nun der Sprechgesang des Bariton auf den Text: "Nyn gär de zäpedon katharön kai kheires hapänton kai kylikes ..." Der Text endet gleichzeitig mit dem Streicherklang; eine Phrase dreier Holzblasinstrumente (Piccolo, 2. Flöte und l. Fagott) schließt sich unmittelbar an (a), hinzu tritt nach einigen Takten eine weitere Phrase (b) in anderer Instrumentenkombination: l. Oboe, Englischhorn, Baßklarinette. Nach Abschluß der Phrase a spielt eine dritte Triogruppe (2. Oboe, l. Klarinette und CelloSolo) eine Phrase c; und sobald die Phrase b endet, setzen die l. Flöte, G-Flöte und Solobratsche mit einer Phrase d ein. Diese vier Phrasen, deren jede in sich abgeschlossen und festgelegt ist, werden im folgenden Verlauf, auch noch über den erneuten Einsatz der Singstimme hinaus auf vielfältige Weise zwischen den vier Triogruppen ausgetauscht (siehe Abb. 5 unten). Dieses Wechselspiel, das festumrissene melodische Formen von immer wieder neuen Klangträgern unverändert wiederholen läßt, endet gleichzeitig mit dem Sprechgesang auf einem hauchenden Flageolettklang der tiefen Streicher. Unvermittelt setzt darauf der wörtlich übernommene Anfang des Werkes ein, der allerdings nach wenigen Takten Änderungen erfährt: das kurze Schlagzeugsolo des Anfangs ist hier ausgebaut zu einer mehrere Takte langen Pianissimo-Kl angfläche als Untergrund für einen Baritonvers, der jetzt als weiträumiger Gesang notiert ist. Aus seinem Verklingen erwächst dann die rotierende Sechzehntelbewegung der Streicher mit dem zwölftönigen Cluster der Holzbläser. Nach harten, synkopierten Akkordschlägen des Orchestertuttis wird ein weiterer gesungener Baritonvers über der pianissimo ausgehaltenen Klangfläche eingeschoben, und darauf setzt eine Kombination mehrerer Phrasen in den Holzbläsern ein, die jetzt als jeweils zwei Triogruppen auftreten. Ein gesprochener Baritonvers, der darin eingewoben wird, leitet über in den kurzen Einwurf des Sprechchores, mit dem der erste Teil des Werkes abschließt. Der unmittelbar folgende Abschnitt "Escolio I" besteht aus nur wenigen Takten. Er wird gestützt von einer gleichförmigen, in sich vielschichtigen Klangstruktur der fünf Schlagzeuggruppen, die einem einzigen Vers des Sprechchores und einem kurzen akkordischen Einwurf des Orchestertuttis unterlegt ist. Das Schlagzeug verwendet hier ausschließlich Klang- und Rhythmusinstrumente ohne fixierte Tonhöhe, Melodieträger wie Vibraphon oder Xylophon sind ausgeschaltet. Die fünf Gruppen - oder eigentlich nur vier Gruppen, da die 5. Gruppe lediglich einen einzigen ruhenden Klang in der Mitte dieses Abschnittes zu erzeugen hat - die vier aus jeweils mehreren Instrumenten bestehenden Schlagzeuggruppen setzen stufenweise nacheinander ein und verklingen am Schluß des Teils in gleicher Weise. Jede Gruppe hat eine viertaktige Rhythmusphrase zu spielen und ständig zu wiederholen, wobei die Gruppe II den Krebs der Rhythmusreihe spielt, die in Gruppe I exponiert wird, und die Gruppe IV analog den Krebs der Rhythmusreihe spielt, die von der Gruppe III aufgestellt wird. Sobald alle Gruppen zum ersten Mal ihre Phrase vollendet haben, setzt der Sprechchor ein mit dem rhythmisch exakt festgelegten Vers: "ßarbitfxai thymön amblynonta kai phonän en oino". Auf das letzte Wort "oino" folgen schwere Tuttiakkorde, die von einem durchgehaltenen Blechbläserklang fortgeführt werden. Darauf beschließen die vier Schlagzeuggruppen ihre Phrasen, nun allerdings so weit versetzt, daß nach der letzten Phrase der Gruppe I die Gruppe II unmittelbar mit dem Krebs der Rhythmusreihe anschließt und nicht mehr wie im Anfang annähernd parallel verläuft. Nach einer 40 Sekunden dauernden Generalpause folgt "Escolio II", das in seinen zeitlichen und klanglichen Dimensionen bedeutend breiter angelegt ist. Die klangliche Komposition beruht auf dem Prinzip des Tonclusters, der freilich weite Flächen umspannen kann. Die Bläser und alle Streicher sind vielfach geteilt, lassen unmittelbar zusammen nicht nur die zwölf Töne der chromatischen Skala erklingen, sondern auch noch zahlreiche Zwischentöne, die zum Teil exakt vorgeschrieben sind (z. B. gleichzeitig d und eses), zum Teil nur ungefähr angedeutet werden mit Rahmennotationen; hinzu kommen noch die klanglichen Veränderungen, die verschiedenen Spielweisen auf den Streichinstrumenten verursachen, wie Flageolett, mit und ohne Dämpfer, hinter dem Steg, mit und ohne Bogen zu spielen usw. Nach einer kurzen, klanglich und tonal nur annähernd bestimmten Einleitung der fünfzehnfach geteilten Streicher, die ihre Dynamik aus ppp bis zum fff steigern, setzt der Chor in größter Lautstärke mit einem Cluster ein; der in jeder Stimmlage drei nebeneinander liegende Töne umfaßt; nur eine einzige Silbe wird jeweils gesungen, dann summen die Chorsoli in plötzlichem Pianissimo den Klang "M . . . ", gestützt von einem weiteren Cluster der gedämpften Blechblasinstrumente. Die Holzbläser übernehmen dieses Klangbild mit schnellen Pianissimo-Tremoli, die gemeinsam mit den beiden Harfen und der Celesta ausgeführt werden. Daraufhin bilden die Streicher einen tremolierenden Cluster in Piano, aus dem sich nach und nach in einzelnen Stimmen die rotierenden Sechzehntel- und Triolenfiguren des Anfangs herauslösen; sie verselbständigen sich immer mehr, während gleichzeitig immer mehr Holzblasinstrumente die Streichertremoli aufgreifen und fortführen, so lange, bis die Rotationsfloskeln auf alle Streicher übergegangen sind. An dieser Stelle beginnt der Chor mit langgezogenen, ineinanderfließenden Tonfolgen auf wenigen Silben; dabei findet eine Oberlagerung von vier verschiedenen Vorgängen statt: 1. Holzbläser: Tremolo-düster 2. Blechbläser: Rhythmisch vielschichtige, synkopierte Staccato-Tonfoleen 3. Chor: durchgehaltene Töne (genauer und kontinuierlicher Ahlauf der Reihe) 4. Streicher: rotierende Figuren als disperser und weiträumiger Cluster. Mit einem stehenden Cluster des Schlagzeugs endet dieser Abschnitt, gleichzeitig wird der Chorsatz eingeleitet. die auf den Schluß hinführt. In einem fortwährenden Wechsel von Flüstern. Sprechen und Schreien tragen Chor und Chorsoli die Verse vor, ohne sie rhythmisch zu gliedern. Die rhythmische Indifferenz beherrscht auch die ständig wiederholten Phrasen der fünf Schlagzeuggruppen. Allein in den durchklingenden Akkorden der Bläser sind die Tonhöhen genau angegeben. In den Streicherstimmen sind lediglich die Anfangstöne (auf der Partituranordnung von oben nach unten im Ablauf der Reihe) exakt vorgeschrieben; die weiter gespielten Töne sollen diesen Anfangston fluktuierend umkreisen. Eine breit angelegte Steigerung führt zu dem Höhepunkt, auf dem sowohl der Chor als auch die Soli mit ihrem "Opal"-Schrei einen abrupten Schlußpunkt setzen, nach dem das Klangbild vom Beginn dieses Teiles in den Streichern wieder einsetzt und in eigentümlichen Klangphänomenen rasch verebbt. Der Obergang zu "Escolio III (Anonymo)" fehlt. Die Streicher setzen ohne Unterbrechung ihr flimmerndes Klanggespinst fort (Tremoli mit der Bogenstange über dem Griffbrett auf den Tönen es-eses-des-deses), und darüber erhebt sich ein Solo der G-Flöte, das in mannigfaltiger dynamischer Variabilität, dabei aber in rhythmischer Freizügigkeit die Reihe zunächst in ihrer Grundgestalt exponiert und sie darauf in der Krebsumkehrung fortführt wobei die beiden letzten Töne der Grundgestalt zugleich die beiden ersten der Krebsumkehrung sind: Der letzte, verklingende Ton der G-Flöte wird gebrochen durch Arpeggioklänge der beiden Harfen und Celesta, daran schließt sich unmittelbar die exakt notierte Kantilene des Baritonsolo mit den Versen: "Eithe rodon genomen hypopörphyron". In die letzte Silbe fällt ein Solo der Celesta ein mit verschränkter Reihenkonstruktion; es leitet eine neuntaktige Phrase ein, die gemeinsam mit den acht- und siebentaktigen Phrasen der nach und nach einsetzenden Harfen einen Komplex bildet, dessen Wiederholung ein Solo der G-Flöte stützt. Die abschließenden ritard ierenden Wechselnoten es/des leiten einen neuen Abschnitt ein, der ein Duett zwischen Bariton und G-Flöte, dicht konstruiert und bis zum Schluß kontrapunktisch durchgeführt mit dem Komplex der nun gleichzeitig einsetzenden Phrasen der Harfen und Celesta unterlegt. Der Schlußklang, eine große Septime zwischen Bariton und G-Flöte, der von zwei Solocelli übernommen wird, führt hinüber in "Escolio IV", während die Phrasen der Harfen und Celesta nacheinander zu Ende gehen. Auf dieser großen Septime baut sich der folgende Teil "Escolio IV" auf. Hier wird wieder das volle Orchester eingesetzt, an die Stelle des Bariton-Solo treten der Chor und die vier Chorsoli. Die Notation, zu Beginn des Abschnitts sehr präzise, wird zusehends freier und vager. Der vierstimmig-polyphone Satz der Soli wird parallel von den geteilten Bratschen und Celli begleitet. Nach dem ersten Vers fällt der Chor ein mit homophonen zwölftönigen Akkorden auf die syllabisch gesungenen Verse "Eie kai erän kai eroti kharizesthai katä kairon", wozu nach und nach die übrigen Streicher und die Blechbläser akkordisch treten, ihnen folgen die Schlaginstrumente und Harfen. Die Divergenz zwischen den polyphon und melismatisch geführten Soli und dem homophonen, syllabischen Chorsatz bleibt erhalten, aber die Harfen leiten mit Glissandi, Tremoli und Clustern allmählich über in die unbestimmte Klanglichkeit zuerst der Streicher (hier gibt es wie in "Escolio II" nur Rahmenanweisungen zur Klangerzeugung), dann auch des Chores. Die Soli werden, begleitet von Bratschen und Celli wie zuvor, polyphon weitergeführt, aber der Chor hat nur Zischlaute (Seh, F, S, Z) zu erzeugen. Zur Überleitung in den Schlußteil des ganzen Werkes ("Escolio V") wird die Dynamik dieses indifferenten Klangbildes rasch zurückgenommen, und aus dem Pianissimo entsteht ohne Unterbrechung "Escolio V", das in sich aus fünf Komplexen zusammengesetzt ist: A= Holzbläser und Harfen, B = zwölf fach geteilte Streicher, C= Blechbläser und Chor, D-=fünf Schlagzeuggruppen; die Einsätze dieser vier Klanggruppen erfolgt in dieser Reihenfolge, im fünften Komplex sind sie alle vereinigt. Jeder Komplex erzeugt ein spezifisches Klangbild, das bei dynamischen Abwandlungen so lange wiederholt wird, bis der Komplex D seine zwanzig Sekunden dauernde Phrase, eine gewaltige Steigerung der Dynamik und Klangdichte, vollendet hat; dann vereinigen sich alle Klangträger zu dem Schluß abschnitt, der in dichtestem Klangbild und raschem Tempo auf einen fulminanten ffff-Abschluß hinsteuert. Wie in "Escolio II" ist auch hier der bewegte Cluster das klangliche Kompositionsprinzip. Der Komplex A ist überwiegend auf rasch bewegten, dabei aber relativ weit gesetzten Skalen der Holzbläser aufgebaut, wozu die Harfen mit weiträumigen Glissandi treten. Der Komplex B weitet diese Skalen durch expansive Akkordzerlegungen in den Streichern aus. Im Komplex C wird weitgehend auf Veränderungen der Tonhöhe verzichtet, der Chor- und der Blechbläsersatz sind akkordisch und engräumig; nur nach Abschluß der Chorphrase haben die Blechblasinstrumente annähernd polyphone melodische Figuren zu spielen. Der Komplex D wird aus einer reinen Cluster-Konstruktion gebildet: in stufenweisem Aufbau setzen alle Schlaginstrumente nacheinander ein und verbinden mit einer solchermaßen erreichten klanglichen Verdichtung eine gleitende Tonstärkenund Geschwindigkeitssteigerung. Nach einigen gesprochenen, unregelmäßig eingestreuten Einwürfen schreit der Bariton an dieser Stelle seine letzten Verse über diesen scheinbar chaotischen Klang, und unmittelbar darauf verstummt plötzlich das gesamte Orchester, und die beiden Chöre singen unisoni - und gleichsam programmatisch - die Silbe "syn". In Piano setzen die Streicher mit ihren rotierenden Sechzehntelfiguren ein, die Holzbläser treten mit gleichen Strukturen hinzu, die Chöre singen in homophonen, synkopierten Akkordblöcken den letzten Vers und werden dabei klanglich getragen von Schlagzeugtremoli und ineinanderfließenden Blechbläserakkorden. Die letzte Chorsilbe "öpai" wird - ebenso wie am Schluß von ..Escolio II" tonlos geschrien. Verlag Wergo Schallplatten GmbH, Baden-Baden Herausgeber Dr. Werner Goldschmidt Musikverlag Universal-Edition, Wien Tonproduktionen "Symposion" ist eine Tonproduktion des Senders Freies Berlin; "Secuencias" und "Lineas y Puntos" des Südwestfunks, Baden-Baden Schallplattenherstellung Carl Lindström GmbH, Köln Druck Stark-Druck KG, Pforzheim